Direkt zum Inhalt

Basiswissen Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Image
Basiswissen Pädagogik bei Verhaltensstörungen
Thomas Müller
Verlag
Ernst-Reinhardt-Verlag
ISBN-Nummer
978-3-825-25578-7
Preis
21, 90 €

Dieses Buch wurde für Studierende des Lehramts und der Sonderpädagogik geschrieben. Es ist also als Lehrbuch konzipiert, in übersichtlich gegliederten und aufeinander aufbauenden kurzen Textabschnitten abgefasst. Sowohl die zusammenfassenden grafischen Darstellungen, thematische Skizzen genannt, als auch die Verständnis- und Vertiefungsfragen am Ende eines Kapitels tragen zum Verständnis des Inhalts bei und regen den Leser dazu an, das Gelesene im eigenen Wissenshintergrund einzuordnen. Außerdem ist jedem Kapitel als Einführung eine zusammenfassende These vorangestellt.

Ein besonderer - für mich neu entdeckter - Bonus besteht im Online-Material zur Vertiefung des Gelernten. Ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis und das hilfreiche Sachregister erleichtern schnelles Nachschlagen und weiterführendes Arbeiten mit dem Text.

Wer sich nun wie ich als Laie und Nichtpädogin an die Lektüre setzt, ist durchaus angenehm überrascht von der Allgemeinverständlichkeit des Textes. Prof. Müller befasst sich zunächst mit der Geschichte der Pädagogik für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche und ihrer ethischen Entwicklung bis ins frühe 20. Jahrhundert. Auch der Abbruch dieser Entwicklung mit der Pathologisierung abweichenden Verhaltens durch die Nationalsozialisten, mit einer Pädagogik für Verhaltensgestörte in der DDR sowie der Ausgrenzung Schwererziehbarer in Sonderschulen in der Bundesrepublik wird in dieser chronologischen Aufzählung nicht ausgespart. Zusammenfassend wird dann die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre zu einer inklusiven Pädagogik aufgezeigt, wobei der Leser durch zahlreiche Literaturhinweise diese Entwicklungen nachvollziehen und seine Kenntnisse vertiefen kann.

Den weiteren Weg fasst Prof. Müller so zusammen:
Mit Blick auf eine inklusive Zukunft hat die Pädagogik bei Verhaltensstörungen ihre Professionalität in mindestens drei Handlungsfelder einzubringen:

  • Zum einen gilt es, eine präventive pädagogische Praxis in der Elementarbildung auszubauen,
  • zum zweiten eine integrative und inklusive pädagogische Praxis in Regelschulen weiterzuentwickeln, ohne Exklusion in der Inklusion zu entwickeln,
  • und zum dritten geht es um den Erhalt sonderpädagogischer, schulischer und außerschulischer Intensivangebote sowie ihre Weiterentwicklung im Hinblick auf Aufenthaltszeiten, Durchlässigkeit und Übergänge, aber auch konzeptionelle Qualitäten.“ (Zitat S. 27/28)

An diesem Anspruch orientiert sich der weitere Aufbau dieses kleinen Lehrbuchs. Dabei fällt mir als Mutter eines ADHS-Kindes auf, dass der Autor im Kapitel Verhalten erklären -  Erleben verstehen zwar die vielfältigen Ursachen für auffälliges Verhalten im Kindes- und Jugendalter beschreibt und erklärt. Aber im Folgenden spielen diese Ursachen keine Rolle mehr. Die Diskussion, warum ein Kind oder Jugendlicher auffälliges Verhalten zeigt, wird getrost dem medizinischen und therapeutischen Fachpersonal überlassen. Im Mittelpunkt pädagogischen Handelns steht das Kind in seiner seelischen Not und dem daraus erwachsenden unangepassten Verhalten im Unterricht und im Schulalltag, das eben vom pädagogischen Personal im Alltag ertragen bzw. bearbeitet werden muss.

Beim Lesen hat mich besonders die kritische Einstellung des Autors gegenüber beinahe allen erzieherischen Methoden und Rezepten beeindruckt. Er führt den Blick des Lesers konsequent immer wieder auf die Situation der auffälligen Kinder und Jugendlichen hin, auf die genaue Beobachtung ihres Verhaltens und auf das Verständnis für deren inneres Erleben. Nur dadurch kann die pädagogische Fachkraft im Alltag in die Lage versetzt werden, angemessen zu reagieren und Veränderungen zu erreichen. Und dies gilt doch wohl in mindestens ebensolchen Maß für uns Eltern von verhaltensauffälligen Kindern.

Anstrengend, kräftezehrend, konsequent, dauerhaft – alles Vokabeln, die uns bei der Lektüre nicht erspart werden. Die einfache Patentlösung, das Schräubchen, an dem man drehen muss zur Verbesserung des Verhaltens, gibt es nicht. Der wirkliche Erfolg, die echte Hilfe, die langfristige Einübung von erträglichem Verhalten wird vor allem durch ein ehrliches Beziehungsangebot, intensives Beobachten des kindlichen Verhaltens und tiefes Verständnis für das innere Erleben und das subjektive Verhalten der erziehungsauffälligen Kinder und Jugendlichen ermöglicht.

Dieses Buch ist also nicht nur für Studenten oder für verzweifelte Pädagogen, die mit Verhaltensauffälligen zu tun haben, zu empfehlen. Auch für Eltern und ErzieherInnen, die der Verhaltensauffälligkeit, ihren Ursachen und Auswirkungen auf das alltägliche Geschehen in Schule, Hort oder Kita auf den Grund gehen und einen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Prävention und Intervention bekommen wollen, können von der Lektüre profitieren.

Waltraut Steinhäuser