Der Entspannungsnerv: Wie Sie ihn aktivieren und damit Stress reduzieren
Herr Prof. Schnack beschreibt als Mediziner die Bedeutung des Vagus-Nerven.
Das Gehirn des Menschen kann man grob unterteilen in die Großhirnrinde, die man auch als unsere Denkzentrale bezeichnen kann. Hier entsteht willentliches Denken und Entscheidungen.
Dann gibt es noch das vegetative Nervensystem. Dieses kann nicht willentlich gesteuert werden. Hier entstehen Gefühle, Beziehungen, Intuition. Es ist auch der Sitz unserer emotionalen Intelligenz (unserem Bauchgefühl). Weiterhin werden vom vegetativen Nervensystem Herz und Kreislauf, Atem, Verdauung, Wärmeregulation und das Immunsystem gesteuert. Es ist auch unsere Sicherheitszentrale und unser Kontrollsystem, mit dem wir uns selbst regulieren.
Dieses System teil sich in Sympathikus und Parasympathikus. Das sind quasi Gegenspieler, die in unterschiedlichen Situationen aktiv werden.
Der Sympathikus wird aktiviert bei Stress, Flucht oder Gefahr. Es ist unser Überlebensmodus, der alle Energien aktiviert, um in gefährlichen Situationen zu überleben. Der Sympathikus bewirkt eine Leistungssteigerung und man kann ihn auch als Kickstarter bezeichnen, um schnell und effektiv auf Ereignisse regieren zu können. Die ständige Aktivierung des Sympathikus führt zu Stress, innerer Unruhe, Bluthochdruck, Schlafstörung und Depression sowie chronischer Erschöpfung.
Der Sympathikus schüttet die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin aus. Er blockiert auch die Verdauungsfunktion. Es kann auch zu einer erhöhten Infektanfälligkeit und zu einer ständig erhöhten Muskelanspannung führen. Daraus können sich chronische Schmerzsymptome und Verspannungen entwickeln. Eine ständige Aktivität des Sympathikus fühlt sich für den Organismus wie eine Art Dauerkriegszustand an: bereit jederzeit zu kämpfen und immer in Anspannung, um sich rechtzeitig verteidigen zu können.
Der Parasympathikus wird aktiviert, wenn Regeneration, Ruhe und Entspannung wieder eintreten soll. Der Mensch braucht genau dies als Regulativ nach Stressereignissen, um sich wieder auszubalancieren und erneut Kraft zu tanken. Eine gute Work-Life Balance ist dann gegeben, wenn nach Anstrengung der Körper und die Seele wieder zur Ruhe kommen und ein Erholungszustand wieder eintritt. So lange dies funktioniert, ist der Mensch in einem gesunden Zustand.
Der Vagus verweilt im Hintergrund und kommt erst zum Zuge, wenn der Stress, die Gefahr oder die Herausforderung nachlässt und Sicherheit wieder eintritt. Kann er nicht ausreichend aktiviert werden, dann laufen Menschen Gefahr, ein chronisches Erschöpfungssyndrom zu entwickeln.
Der Vagus teilt sich auf in einen vorderen und hinteren Anteil und den Nervus pudendus, der auch für Verdauung und Sexualität zuständig ist. Der Vagus braucht Ruhe und Stille, ohne die kann er nicht aktiviert werden.
In dem Buch werden verschiedene Techniken vorgestellt, die den Vagus aktivieren können, wie z. B. Summen, Singen, Meditation, Bewegungsübungen, 15-minütige Siesta etc.
Der Autor weist darauf hin, dass unsere moderne Gesellschaft ungesunde Lebensweisen aufweist. Hier führt er z. B. auf, dass Sitzen auf Stühlen oft zu Haltungsschäden führt, weil das Sitzen den Pudendus-Nerv einklemmen könne, was auch zu Rückenschmerzen und Verdauungsschmerzen führen kann. Auch die Abschaffung der Plumpsklos, wo man in der Hocke den Toilettengang erledigte, sei unvorteilhaft. Das Pressen auf der Toilette sei ungünstig, da man dann um den Stuhlgang zu verrichten pressen müsse, was zu Hämorriden und Verdauungsproblemen führen könne.
Wir lassen uns auch keine Zeit für Stille mehr. Social Media, Serien, Internet und Gaming füllen jede Minute und verhindern Muse und in Ruhe zu sich selbst zu.
Wir können Stille nicht mehr aushalten, nicht mehr warten und auch nicht mehr still sitzen. Unsere Hektik und Getriebenheit koste uns Liebe, Mitgefühl und Produktivität. Der Autor empfiehlt die Wiederentdeckung der Langsamkeit,
Leider gleitet er dann am Schluss sehr in die Esoterik ab und empfiehlt als Allheilmittel seine Vagus-Meditation. In einem Rundumschlag behauptet er auch, dass 16 % der Bevölkerung Hirndoping mit Ritalin betreiben. Diese, wie auch viele anderen Behauptungen, werden nicht mit Literatur belegt.
Ich finde viele in dem Buch angeschnittene Aspekte richtig, wenn auch nicht neu.
Die Bedeutung des Vagus ist gut dargestellt und der Mahnruf, mehr auf Stille und Ruhe zu achten, sicher zeitgemäß. Ich finde allerdings die Allround-Empfehlung der Vagus-Meditation für alle Lebenslagen zu kurz gegriffen und grob vereinfacht.
Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz