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Stark mit AD(H)S

Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern

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Stark mit AD(H)S
Joachim Kristahn
Verlag
SCM
ISBN-Nummer
978-3-775-15844-2
Preis
7, 99 €

Als ich das Buch „STARK mit AD(H)S – Gottes Potenzial für mein Kind entdecken und fördern“ zum ersten Mal in die Hand nahm, legte ich es bald wieder zur Seite. Die Klappentexte erschienen mir doch sehr reißerisch und rochen nach Patentrezepten für Eltern, LehrerInnen und ErzieherInnen.

Andererseits hatten mein Mann und ich aus unserer eigenen Glaubenspraxis immer wieder Mut und Hoffnung geschöpft. Und die Haltung, dass unsere Kinder - so unterschiedlich sie auch sein mögen – jedes genau so richtig und von Gott geliebt ist, wie es ist, hat uns alle aus manchem Sorgen- und Jammertal wieder herausgeführt. Also machte ich mich dann doch an die Lektüre, um (wie der Untertitel verspricht) „Gottes Potential für mein Kind (zu) entdecken und (zu) fördern“.

Wer geprägt ist von einer Gottesvorstellung von einem bösen alten Mann mit grauem Bart, der alles sieht, hört, weiß und bestraft, dem wird dieses Buch wohl kaum Hilfe und Unterstützung sein können. Für Menschen, die sich einen liebenden Gott vorstellen, der bedingungslos an unserer Seite steht und an den wir uns im inneren Dialog zu jeder Zeit mit unseren Sorgen wenden können, mag sich die Lektüre in vielerlei Hinsicht lohnen.

Im ersten Kapitel gelingt es dem christlichen Psychologen und Vater Joachim Kristahn, knapp und doch umfassend die Ursachen und Folgen einer AD(H)S im Kindesalter zu schildern. Die Mischung aus aktuellen wissenschaftlichen Informationen, Tabellen zum Ankreuzen und Erzählungen aus der eigenen Familie ist optisch übersichtlich gegliedert und lässt sich auch ohne Vorkenntnisse gut lesen. Dabei ermöglichen uns die zahlreichen Literaturhinweise, dass wir uns die aufgeführten Quellen später einmal näher erschließen könnten.

Außerdem beschreibt der Autor in diesem Kapitel die gefühlsmäßige Abwärtsspirale, in die Kinder mit AD(H)S beinahe zwangsläufig hineingeraten: „Weil diese Kinder vielerlei Schwierigkeiten haben, bekommen sie ständig Kritik zu hören, und weil sie kritisiert werden, haben sie noch mehr Probleme. Ohne Hilfe kommen sie da schwer heraus. Dies mündet in einem inneren Schmerz. Bis zu 200-mal täglich wird ein AD(H)S-Kind laut Statistik kritisiert und oft nicht ein einziges Mal gelobt (nach Aust-Claus und Hammer, Ratingen 1995/2005)“.  Das Anliegen dieses Buches von J. Kristahn verstehe ich so, dass er uns Eltern, Alleinerziehende und erwachsene Begleiter unserer Kinder dazu befähigen möchte, diese Abwärtsspirale in eine Aufwärtsspirale zu wandeln.

Deshalb werden im zweiten Teil kompetent und informativ die multimodalen, d. h. ganzheitlichen Behandlungsmöglichkeiten bei AD(H)S beschrieben und diskutiert. Wer in aller Kürze einen Überblick gewinnen möchte, welche therapeutischen Möglichkeiten bei AD(H)S im Kindesalter zur Verfügung stehen, sehe sich die Aufzählung auf Seite 90-93 an. Natürlich geht J. Kristahn darüber hinaus auf die Bedeutung der christlichen Sichtweise auf den ganzen Menschen ein und wie wichtig diese Betrachtungsweise für uns Eltern ist, wenn wir die Stärken unseres Kindes fördern möchten.

So bekommen wir im dritten Kapitel eine Anleitung, wie wir im inneren Dialog mit Gott oder alternativ im intensiven Gespräch mit einer Vertrauensperson zu einer neuen Sicht auf unser AD(H)S-Kind finden können. Dabei werden uns Fragebögen, Tabellen und Erfahrungsberichte angeboten, die uns zu sehr konkreten Erkenntnissen über das eigene Kind hinführen können.

Im vierten Teil befasst sich der Autor vor allem mit dem, was er „Herzensbegegnungen“ nennt. Ich persönlich würde eher von dem Aufbauen einer tiefen inneren Beziehung zum Kind sprechen. Der Weg dorthin ist jedoch gleich: Nur dadurch, dass wir Erwachsenen das Kind mit seinem inneren Schmerz und seinen persönlichen Stärken erfassen und annehmen, können wir das Vertrauen des Kindes gewinnen und einen heilenden Zugang zu seiner Psyche bekommen bzw. „das Herz erreichen“. „Wir alle haben schon erfahren, wie es ist, jemandem auf einer tiefen Herzensebene zu begegnen. Wir konnten den anderen verstehen und wurden verstanden; wir konnten vertrauen und uns wurde vertraut. Wir spürten etwas von dieser außergewöhnlichen Begegnung – manchmal sogar ohne viele Worte. (...) In solchen Begegnungen waren wir mit unserem ganzen Sein präsent, mühelos konzentriert, hellwach eben. Genau das brauchen Kinder und Jugendliche mit AD(H)S. Sie brauchen Erfahrungen von Wachheit – auch ohne stimulierende Medikamente:“ (S.127/128)

Sehr einfühlsam geht der Autor im fünften Kapitel näher auf den inneren Schmerz ein und wie unsere Kinder und wir Eltern lernen können, mit unseren Gefühlen umzugehen. Joachim Kristahn ermutigt uns Eltern dazu, die erzieherischen Herausforderungen anzunehmen. Wer viel über AD(H)S weiß, die Stärken seines Kindes sieht, sich immer wieder um eine gute Beziehung zum Kind bemüht und die Bedeutung von Strukturen und Grenzen erkennt, dem werden tiefes Verständnis, kreative Ideen und ungeahnte Kräfte zuwachsen.

Zur Erläuterung befasst sich der Autor im sechsten Kapitel mit den Grundzügen der „dialogischen Grenzen“, wie wir sie finden und durchsetzen können. Auch hier werden wir von Praxisbeispielen, Listen, Tabellen und konkreten Tipps unterstützt. Im abschließenden siebten Kapitel erfahren wir noch einmal Näheres über die konkreten Lernschwierigkeiten der AD(H)S-Kinder und finden viele gute Vorschläge, wie wir und die Lehrkräfte damit umgehen können.

Erstaunt hat mich, dass der Autor in diesem Buch „Gottes Potenzial“ vor allem im Hinblick auf die private, familiäre Sphäre aufzeigt. Dabei haben es AD(H)S-Kinder leichter, ein positives Selbstbild zu entwickeln, wenn sie auch im (christlich orientierten) Kindergarten, im Kindergottesdienst, in Familienbildungsstätten, von einfühlsamen Lehrkräften oder im Sportverein immer wieder erfahren dürfen, dass sie so wie sie sind richtig und geliebt sind. Und solch positive Zuschreibungen von außerhalb der Familie werden gewiss ebenfalls stärkend auf die sozial-emotionale Entwicklung unserer AD(H)S-Kinder einwirken.

Waltraut Steinhäuser